Medien und Suizid

Selbstmorde gehören zu den Nachrichten mit dem höchsten „Wert“. In der Kommunikationswissenschaft werden „Nachrichtenwerte“ seit nahezu hundert Jahren diskutiert, nachdem Walter Lippmann 1922 auf Kriterien aufmerksam machte, die journalistischen „Gatekeepern“ dabei behilflich sind, positive oder negative Veröffentlichungsentscheidungen zu treffen.

Nähe von Nachricht zur Zielgruppe ist hier bedeutend, ebenso der Bekanntheitsgrad betroffener Personen oder auch die Singularität eines Phänomens: Ein tropischer Wirbelsturm im westlichen Niedersachen bleibt nur ein berichtenswertes Phänomen, wenn er nicht regelmäßig auftritt.

Von besonderem „Wert“ in mehrfacher Hinsicht sind Gewalttaten: Sie regen auf, machen Angst, mahnen zur Vorsicht – aber sie lassen auch innehalten, wenigstens für einen Moment: Was, wenn man selbst betroffen wäre oder, wenn sich jemand das Leben genommen hat, wie damit umgehen, wenn ein nahestehender Mensch dieses Schicksal teilte?

Medien wird in diesen Kontexten eine besondere Verantwortung zugeschrieben. Der häufig zitierte „Werther-Effekt“ berichtet von Nachahmungstaten, doch auch Musik steht immer wieder im Ruf, Selbstmorde zu begleiten oder möglicherweise depressive Stimmungen zu verstärken, die später eskalieren könnten. Von dem Lied „Gloomy Sunday“ (1932) des ungarischen Komponisten Reszo Seress wird berichtet, dass es mehrere Menschen entsprechend berührt habe. Modernere Berichte sind von Liedern der Band „The Cure“ aus den 1980er Jahren bekannt.

Selbsttötungen von Prominenten wirken besonders wirkmächtig, wenn sie Fans viele Jahre begleitet haben. Medien stehen hier vor der schwierigen Frage, einerseits berichten zu wollen und zu müssen, andererseits aber Respekt vor dem Verstorbenen und dessen Angehörigen zu wahren und gleichzeitig depressive Menschen nicht noch zu einer Nachahmungstat zu ermuntern. Wie Medien handeln und handeln sollten, welche Bedeutung die Öffentlichkeit hat erfahren wir von Izabela Korbiel, Medienwissenschaftlerin an der Universität Wien, die sich mit diesem Phänomen in „Krisenzeiten“ (Times of Crisis) beschäftigt und Ronald Reng, dem Biographen des im November 2009 verstorbenen ehemaligen Nationaltorhüters Robert Enke.

(SP)

 

Schwerpunktthema Suizid und Medien

Izabela Korbiel: Suicide and the media – a tragical relation?

Suicides receive special media attention, they makecsm_PortraerfotoKorbiel_55aec92a0c the headlines and touch many people. In particular, the suicides of celebrities such as the footballer Robert Enke and those of young people in general lead to horror, dismay and sadness. Weiterlesen

Robert Enke: Ein allzu kurzes Leben. Interview mit Ronald Reng

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Ronald Reng: Ich wusste vor seinem Tod nichts von Roberts Depressionen, dementsprechend unvorbereitet traf mich die Nachricht, er habe sich selbst getötet. Zumal ich an jenem 10. November 2009 in den Abendstunden seinen Rückruf erwartete. Weiterlesen

Selbstmord & Medien, der Werther-Effekt: “3-Satz: Angefragt…” mit Claire Horst, Hermann Groß und Stefan Piasecki

Gefragt sind: Claire Horst, freie Journalistin, Schreibpädagogin und FullSizeRender 3Bildungsreferentin , Hermann Groß (Dipl.-Pol., Dipl-Psych.), stellv. Rektor und Fachbereichsleiter Verwaltung der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung.  Prof. Dr. Stefan Piasecki, Dozent für Handlungsfelder der Sozialen Arbeit und Medienpädagogik an der CVJM-Hochschule in Kassel. Jugendmedienschutzprüfer. Weiterlesen