Werkstattgespräch in der Hanns-Seidl-Stiftung
Auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung besuchten Prof. Dr. Stefan Piasecki und Felix Johne am 25.01.2016 ein Werkstattgespräch in München. Das Thema der Veranstaltung war der „Dialog Digitale Zukunft – Die Flüchtlinge und die Medien“.
Zu Gast waren unter anderem der Staatsminister des Inneren Joachim Herrmann, der Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens Prof. Sigmund Gottlieb, der Intendant der Deutschen Welle Peter Limbourg, der Herausgeber des Straubinger Tagblattes Prof. Dr. Martin Balle sowie Rania Mleihi, Politikstudentin und Dramaturgin aus Syrien. Die Veranstaltung wurde moderiert von Prof. Andreas Bönte, dem kommissarischen Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks.
Was bedeutet heute globale Kommunikation?
„Welche Wirkung haben deutsche Medien auf Menschen im Ausland“, fragte Prof. Bönte zum Auftakt und gab zu bedenken: Wenn man die zu uns Gekommenen frage, was sie am dringendsten benötigten, sei immer wieder zu hören: „WiFi“. Da so gut wie jeder Grenzgänger Besitzer eines Smartphones ist, sei es den eingewanderten Menschen möglich sich sofort über die Situation im Land auszutauschen und „Einwanderungstipps“ weiterzugeben.
Innenminister Herrmann sprach über die Vertrauenswürdigkeit der deutschen Medien. Er konstatierte, dass immer mehr Menschen dem Vorwurf, es
handele sich um eine „Lügenpresse“, zustimmen würden. Dies sei bei 39% im Westen und bei 44% der Menschen im Osten Deutschlands der Fall. 51% fühlten sich etwa in Bezug auf die Flüchtlingskrise schlecht oder nicht ausreichend informiert. Die öffentlich rechtlichen Sender müssten sich fragen lassen: Warum wurde über gesellschaftliche Großschadensereignisse wie die Silvesterübergriffe in Köln erst nach 4 Tagen berichtet? Dies sei nicht nachvollziehbar, da der Sachverhalt bekannt und die Möglichkeiten vorhanden gewesen seien.
Medienarbeit ist Vertrauensarbeit!
Darüber hinaus werde oft ein verzerrtes Bild der Situation von Einwanderern in den Medien gezeichnet. Familien mit Kindern seien häufiger zu sehen als allein reisende Männer, welche jedoch die übergroße Mehrzahl darstellten. Dies sei fatal: Die Bürger dürften nicht den Eindruck bekommen, dass ihnen etwas vorenthalten werde. Darüber hinaus dürfe nach Joachim Herrmann auch das Thema einer Obergrenze von Einwanderern kein Tabu-Thema sein: „Kein Land der Welt, weder Amerika noch Kanada, keines, nimmt unbegrenzt Menschen auf. Nur Deutschland sagt: Wir schaffen das“, so der bayerische Innenminister.
Simon Gottlieb, Chefredakteur des bayerischen Fernsehens, wehrte sich gegen den Vorwurf der „Lügenpresse“, da dieser eine konkrete Absicht der beteiligten Journalisten unterstelle, wahrheitswidrig oder gar nicht zu berichten. Dies sei jedoch nicht der Fall. Er sei ebenfalls der Meinung, dass eine Obergrenze thematisiert werden müsse. Des Weiteren gab er zu bedenken, dass nach seinen Informationen nur 10% der Einwanderer Qualifikationen aufwiesen, die den Anforderungen des deutschen Arbeitsmarkes entsprächen – darüber müsse geredet werden. Man sei als Journalist sicher immer bemüht das ganze Bild zu zeichnen, allerdings behindere die Tagesaktualität mitunter den inhaltlichen Tiefgang. Beispielsweise gäbe es aufgrund der momentanen Lage im nahen Osten Schwierigkeiten objektive Informationen zu sammeln, da es für Reporter vor Ort oft zu gefährlich sei. Man müsse deshalb vermehrt auf die Ambivalenz zugetragener Informationen hinweisen und die Quellenlage transparent machen. Er könne versichern, dass der Bayerische Rundfunk stets nach bestem Gewissen, aber leider dennoch nicht immer nach bestem Wissen berichte.
Was ist Aufgabe der Medien?
Verleger Prof. Balle stellte heraus, dass die Aufgabe der Medien darin bestehe, ein Klima zu schaffen, welches dem Frieden diene. Dazu gehöre es, die deutsche Willkommenskultur hervorzuheben, AfD und Pegida ins Abseits zu drängen und trotzdem Merkels Politik zu kritisieren. Die Frage, ob die deutsche Geschichte einer objektiven Berichterstattung im Weg stünde, verneinte er. Allerdings sei die Gefahr des Rassismus und von Diskriminierung immer präsent. Dies mache es schwierig, über gewisse Dinge frei zu berichten. „Wenn beispielsweise ein Pole einen Ladendiebstahl begeht, dann könne man das nicht immer einfach so schreiben“. Daher herrsche bei vielen Journalisten eine ausgeprägte Verhaltensunsicherheit. Er selbst habe seine Mitgliedschaft im deutschen Presseclub gekündigt, weil eine Reihe von Beschlüssen dort einer freien Berichterstattung immer wieder im Wege standen – wie bspw., dass in vielen Fällen auch schwerer Kriminalität die Täterherkunft nicht berichtet werden solle. Allerdings fände diesbezüglich momentan ein Bewusstseinswandel statt.
Peter Limbourg meinte, man dürfe nicht allein die Willkommenskultur hervorheben, sondern müsse auch die Probleme thematisieren, sowie deutsche und europäische Werte vermitteln.
Frau Hawash gab zu bedenken, dass die mediale Willkommenskultur den Nachzug fördere. Jedoch sei die gegenwärtige Flüchtlingswelle unvermeidbar. Grund dafür seien unter anderem die katastrophalen Bedingungen in der Türkei. Hauptinformationsmittel seien für die Menschen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter. Informationen über die Situation im Land beschaffe man sich häufig in der eigenen Sprache, bei Informationen bezüglich der Rechtslage vertraue man jedoch mehr auf die Übersetzung des deutschen Originals.
Die Suche nach Antworten und Perspektiven
Im Anschluss an die Diskussion gab es die Möglichkeit den Fachleuten Fragen zu stellen. Diese Gelegenheit wurde auch von Prof. Piasecki wahrgenommen. In einem kurzem Abriss referierte er über die Situation an den Grenzen Europas und im nahen Osten, welche sich in den letzten Jahren dramatisch verändert hat. Der Migrationsdruck in der südlichen Sahelzone sei ebenso seit vielen Jahren bekannt wie der Druck auf die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko oder die Drohungen sowohl libyscher wie auch griechischer Politiker, Millionen von Flüchtlingen nach Nordeuropa ziehen zu lassen. „Wie kann man angesichts dieser allgemein bekannten Fakten behaupten, dass die derzeitige Migrationsbewegung für Deutschland überraschend kam? Warum waren wir nur so mangelhaft vorbereitet?“ Auch die Zuwanderung aus Süd-Osteuropa habe Medien und Politik nach der Erweiterung des Schengen-Raumes um Rumänien und Bulgarien ja „überrascht“, obwohl deutsche Auslandsvertretungen und Wirtschaftswissenschaftler genau dies vorausgesagt hatten.
Innenminister Hermann und Sigmund Gottlieb akzeptierten diesen Vorwurf – die Dichte der Informationslage mache es manchmal schwer, die übergeordneten Zusammenhänge zu beurteilen. Piasecki forderte einen „großen Wurf“ in der Entwicklungspolitik. Der eine Politiker fordere einen Marshallplan, der nächste eine Rückführung, der dritte ein Handgeld für Rückreisewillige – wo sei die Vision, bspw. Syrien in 10-15 Jahren zu einem wirtschaftlich starken Musterstaat aufzubauen, in den die Menschen gerne zurückkehrten und in welchen etwa nicht nur Geld, sondern deutsches Know-How für den Ausbau der Infrastruktur oder auch eines dualen Ausbildungssystems exportiert werden könnten? Dies stabilisiere den gesamten Nahen Osten und sei auch der Sicherheitsnachbarschaft mit Israel zuträglich.
Nach der Veranstaltung gab es die Möglichkeit, bei kühlen Getränken und Fingerfood mit den Gästen persönlich ins Gespräch zu kommen. So konnte der Kontakt zu dem Vorsitzenden des Zentralrats orientalischer Christen in Deutschland, Simon Jacob, hergestellt werden, welcher sich bereit erklärte, auch an der Hochschule in Kassel eine Informationsveranstaltung zu den brisanten Geschehnissen zu halten. Felix Johne nutzte die Chance, noch einmal mit dem Bayerischen Innenminister einen kurzen persönlichen Dialog zu führen.
(Bericht: Felix Johne)