Virtueller Linksextremismus: „Schaufenster der Gegengesellschaft oder virtueller Molotowcocktail?“, Vortrag auf der Expertentagung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen im Bildungszentrum Kloster Banz, 11.-13. März 2016
v.l.n.r.: Felix Johne, Prof. Dr. Stefan Piasecki, Dr. Gerhard Hirscher, Prof. Dr. Eckhard Jesse
Vom 11.- 13. März waren Prof. Dr. Piasecki und Felix Johne, Student an der CVJM Hochschule, zu einer sicherheitspolitischen Expertentagung in Bad Staffelstein eingeladen. Die Veranstaltung mit dem Thema: „Extremismus in Deutschland“ wurde von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung organisiert und fand im Kloster Banz statt. Das 1978 von der Stiftung übernommen und komplett restaurierte, ehemalige Benedektiner-Kloster, ist Ende des 17. Jahrhunderts nach einer Zerstörung im barocken Stil wieder aufgebaut worden und wirkt schon aus der Ferne beeindruckend. Auf einer Höhe von 458 Metern hat man weiten Blick über das oberfränkische Bergland und in der freskenreichen, bunt geschmückten Klosterkapelle, welche mit ihren zwei Kirchtürmen den höchsten Punkt der Anlage bildet, liegt der berühmte Komponist und Chorleiter Valentin Rathgeber begraben.Die Veranstaltung wurde moderiert von Dr. Hirscher und eingeleitet mit einem Referat über die momentane politisch-gesellschaftliche Situation in Deutschland von Prof. Dr. Jesse.
Dabei ging Jesse besonders auf die Partei „Alternative für Deutschland“ ein, welche seit ihrer Gründung 2013 für Kontroversen sorge. Jesse bezeichnete die Migrationskrise als die größte Herausforderung seit der deutschen Einheit. Die rechtskonservative AfD habe jedoch davon profitiert. Allerdings sei der Erfolg dieser Partei nicht allein dadurch zu erklären. Auch der Linksruck der CDU habe Konservative heimatlos werden lassen. Ein zu hohes Maß an politischem Konsens und mangelnder Unterscheidbarkeit in den Parlamenten vertretener Parteien fördere Neugründungen wie die AfD. Entscheidend sei es nun abzuwarten wohin sich die Partei entwickele. Wird sie echte Alternativen anbieten oder eine reine Protestpartei werden? Auch ihr Kurs in Bezug auf die Putin/ Russland-Frage werde aufmerksam registriert, so Jesse.
Der Samstag Morgen begann mit dem Vortrag von Prof. Dr. Piasecki zu dem Thema: „Linksextremistische Argumentationsmuster im Internet“. Unterstützt wurde er dabei von Felix Johne. Im Fokus stand das Verständnis von Kritik, Widerstand und Gewalt linksorientierter Gruppen. Aus dem Bericht des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz von Januar 2016 geht hervor, dass der durchschnittliche Linksextremist polizeibekannt, männlich, zwischen 20 und 25 Jahren, Student oder Arbeitslos und zu 92% bei den Eltern sesshaft sei. In den Jahren 2009-2013 sei ein erheblicher Anstieg im Bereich linksextremer Gewalttaten zu verzeichnen gewesen. Der Großteil der Delikte beziehe sich auf Brandstiftung und Körperverletzung, jedoch kam es auch zu versuchtem Totschlag in 13 Fällen für den Großraum Berlin. Es sei vorwiegend eine kleine Minderheit in der deutschen Linken welche sich durch Intoleranz und Gewaltbereitschaft auszeichne, diese habe jedoch ein breites Unterstützerumfeld und könne auf gesellschaftlichen Solidarisierungen hoffen.
Die Themenfelder linker Aktivisten sind vielfältig und durchaus legitim, die Grenzen zur Gewalt jedoch bisweilen fließend. Oft werde Gewalt von Gruppen als gerechtfertigt verharmlost oder als abenteuerlich dargestellt. Dabei nehmen Linksextreme die Deutungshoheit gesellschaftlicher Vorgänge für sich in Anspruch und stellen abweichende Meinungen unter den Generalverdacht der rechtsextremen Gesinnung, welche auch dem Rechtsstaat und seinen Beamten vorschnell attestiert wird. Gewalttäter haben so den Freiraum sich also, vielfach auch aufgrund mangelnder Kritik von Seiten der Medien, Politik und Wissenschaft, als legitime, progressive Kraft zur Verhinderung des ungestörten Fortbestehens nationalsozialistischer Ideologie darzustellen. Öffentliche Kritik werde eher zaghaft geäußert. Auch linke Kritiker und Politiker würden bedroht, wie der SPD-Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses Tom Schreiber.
Piasecki stellte als Handlungsoption in den Raum, erfolgreiche Programme aus der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus auch im Bereich des Linksextremismus zu verwenden. Kreative und legitime Formen des linken Protestes sollten gefördert werden, denn dieser sei wichtig. Medien und Politik müssten jedoch entschieden ablehnen und verurteilen, was der gesellschaftlichen Stabilität widerspreche. „Der Kampf gegen Extremismus ist entschieden und nachdrücklich zu führen und er beginnt mit dem Benennen von Realitäten“, so Piasecki.
Es folgte ein Vortrag von Prof. Dr. Pfahl-Traughber von der Hochschule des Bundes in Brühl über die Kritik an der Kritik des Extremismusbegriffs. Herr Pfahl-Traughber stellte zehn typische Einwände vor und führte diese zielsicher ad absurdum. Als extremistisch gelten politikwissenschaftlich gesehen alle Praktiken, die sich gegen die Grundlagen einer modernen Demokratie und offenen Gesellschaft, unabhängig vom jeweiligen Handlungsstil und Ideologiegehalt richten. Ideologische Extremismusformen lassen sich in linke, rechte und religiöse Varianten differenzieren. Skurrile Argumente wie „Extremismus ist ein nicht existierendes Konstrukt“ mögen schon von vornherein als absurd anmuten, die häufige Verwendung mache es allerdings notwendig darauf einzugehen. So analysierte Prof. Pfahl-Traughber, dass die Annahme, den Extremisten gäbe es nicht, zwar zutreffe, dies aber erkenntnistheoretisch verallgemeinert zum Verzicht auf alle abstrakten Begriffe führe.
Am Nachmittag referierte Frau Prof. Dr. Schirrmacher über den Islamischen Staat, seinen Anspruch auf das weltweite Kalifat und seine Anziehungskraft auf Jugendliche in Europa. Frau Schirrmacher analysierte eingangs die Faktoren, welche zur massiven Ausbreitung des Islam in jüngster Zeit führten. So sei das zunehmende Identitätsvakuum der westlichen Welt ein Hauptgrund für die zahlreichen Konvertierungen in Europa, welches aufgrund des demographischen Wandels im Begriff sei sich selbst abzuschaffen und dem geburtenstarken, islamischen Kulturkreis nichts entgegenzusetzen habe. Des Weiteren seien im Nahen Osten und Nordafrika 50-60% der Einwohner unter 20 Jahre alt. Im Orient sei Familiengründung konstitutiv, Hochzeit alternativlos, wilde Ehen und vorehelicher Geschlechtsverkehr bei Strafe verboten. Darüber hinaus entwickelte sich der arabische Frühling zu einer Art Kernschmelze für den Islam, was vielerorts zu einem Krieg gegen Minderheiten wie Jesiden, Christen und Schiiten führte. Säkulare Parteien hätten in Ländern wie Ägypten keine Chance auf Mehrheiten, Libyen sei im Begriff sich aufzulösen und der Jemen werde von Saudi Arabien mit Krieg überzogen. Dennoch stünde der IS, der im Wesentlichen ein anarchisches System darstelle, im medialen Vordergrund. Das Krebsgeschwür des radikalen Islam breite sich auch in Afrika rasant aus. In Ländern wie Somalia, auf der Sinai-Halbinsel, in Tansania und Uganda. Militärisches Eingreifen schaffe neue Märtyrer, Prävention müsse deshalb am Nährboden beginnen, so Frau Schirrmacher. Auf die Frage, was der Kern des Islam sei, gäbe es keine überzeugende Antwort. Die mekkanischen Textteile des Koran seien friedensfördernd, ihnen sei eine Ethik zum Guten der Mitmenschen inhärent. Dem gegenüber stünden jedoch die medinensischen, gewaltfordernden Suren, welche niemals relativiert worden seien. Über allem stehe eine mystische Suche nach Gott und ein Streben zur Nachahmung Mohammeds. Dieser jedoch war ein kriegführender Feldherr und Politiker. Eine Trennung von Staat und Religion sei deshalb schwierig, müsse aber forciert werden. Auf die Frage, ob Deradikalisierungsmaßnahmen sinnvoll seien, äußerte sich Frau Schirrmacher pessimistisch: „Es gibt keine nennenswerten Erfolge“. Der religiöse Fundamentalismus sei so brennend, dass es sehr schwer sei, einen Ausweg oder inhaltliches Ersatzangebot zu finden. Ideologischem Extremismus müsse mit ideologischen Alternativen geantwortet werden.
Ist der Islamische Staat am Ende? Diese Frage stellte Dr. Albert, Direktor des Landesamtes für Verfassungsschutz im Saarland, in den Raum. Der Islamische Staat habe, seit seiner Gründung am 29.06.2014 durch Abu Bakr al-Baghdadi, zwar beträchtliche territoriale, sowie finanzielle Verluste erlitten, das Problem sei im Kern jedoch noch lange nicht gelöst.
Die Standbeine des IS sind laut Albert: ein beträchtliches Staatsgebiet mit parastaatlichen Strukturen, ein starkes, autoritäres Führungspersonal, das gut ausgebildete Militär des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein sowie eine effiziente, weltweite Rekrutierung neuer Mitglieder. Allein aus Deutschland seien bis jetzt circa 800 Personen in den sogenannten heiligen Krieg gezogen. Darüber hinaus verfüge der IS über eine funktionierende, breit angelegte logistische Beutewirtschaft und einen professionellen Propagandaapparat. Die Ziele des Islamischen Staates seien polymorph. Vordergründig sei die Schaffung und Ausweitung des Staatsgebietes und der Anspruch auf die Herrschaft über alle Muslime. Es gehe um militärischen Erfolg, Kriegsheldentum, welches Angst und Schrecken verbreitet, Angriffe auf Ungläubige und nicht zuletzt um die Erringung der Weltherrschaft. Alles laufe, nach IS- Verständnis einer Prophezeiung zufolge, auf eine Endschlacht in Dabiq hinaus, wo 35.000 Muslime einen heldenhaften Sieg gegen die Armee der Ungläubigen erringen würden. Daher soll auch mit verstärkten Terrorangriffen im Westen der Einsatz von Bodenkampftruppen provoziert werden. In Syrien kämpften jedoch verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Interessen: das Assad Regime, unterstützt von Russland, gegen den IS und oppositionelle Rebellengruppen welche von der US – Israel Koalition unterstützt werden. Die freie syrische Armee gegen das Assad Regime und die kurdische Miliz gegen Assad und den IS. Auf die Frage, wie wahrscheinlich es sei, dass mittlerweile auch kampferprobte Extremisten in Deutschland seien, antwortete Albert: „Wir gehen davon aus, dass 33% der 18-25 jährigen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Irak bereits Erfahrungen im Umgang mit Schusswaffen gemacht haben. Ehemalige IS Mitglieder konnten bisher erfolgreich dingfest gemacht werden“. Dabei helfe jedoch auch die Registrierung nicht, da bisher keine Informationen über die Menschen bekannt sind. Ein Beispiel aus den Niederlanden zeige jedoch, dass die Sorge berechtigt ist. Dort seien bei einer genaueren Untersuchung von 170 Migranten 30 Kriegsverbrecher festgenommen worden.
Die Tagung wurde am Sonntag eingeleitet mit einem Beitrag von Dr. Walter Jung vom Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg mit dem Titel „Ich bin nicht modern, ich fühle deutsch“ … – Antimodernismus im deutschen Rechtsextremismus. Herr Jung führte aus, dass Antimodernismus Kern und Ursprung des Rechtsextremismus darstellen würden. Als Grund dafür nannte er die Angst vor Bindungsverlust, Rationalisierung und Verlust der Mystik. Man wolle zurück zum unverkommenen Ahnenkult und habe Angst um die deutsche Seele, welche durch globalisierende Tendenzen einer zunehmend komplexer werdenden, technisierten Welt verloren ginge und Grund für die zunehmende Entfremdung sei. Es sei von Kultur- und Werteverlust statt Kultur- und Wertewandel die Rede.
Zum Abschluss der Tagung stellte Dr. Rudolf van Hüllen, Extremismusforscher und Lehrbeauftragter an der Universität in Passau, die Frage in den Raum, ob ein NPD Verbot sinnvoll sei. Er legte in seiner Vorlesung dar, dass es solche Verbotsversuche schon des Öfteren gegeben habe, welche bisher jedoch immer am Bundesverfassungsgericht scheiterten. Es sei aus seiner Sicht auch nicht sinnvoll die Partei zu verbieten, da man nicht abschätzen könne welcher, vielleicht auch undemokratischen, Mittel sich die radikalen Kräfte bedienen würden, welche jetzt noch der Partei zuzuordnen sind. Durch die parteiliche Organisation seien alle Mitglieder namentlich erfasst. Im Falle eines Parteiverbotes hätte der Verfassungsschutz schlicht keine Übersicht über Anzahl und Identität der Personen. Letzendlich müsse jedoch der Bundesgerichtshof darüber entscheiden, ob ein Verbot sinnvoll sei oder nicht.
Die Extremismustagung in Banz bot einen tieferen, sachkundigen Einblick in die tatsächlichen, gegenwärtigen Herausforderungen unserer demokratischen Gesellschaft. Viele der dargelegten Analysen fordern zu konkreten Handlungen auf. Ein erster Schritt kann das Bewusstmachen und Aufzeigen von Missständen sein. Um extremistischen Strukturen in Deutschland entgegenzuwirken, sollte die Demokratie sich nicht einschüchtern lassen und von ihren Rechten auf Meinungs- und Pressefreiheit, zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung Gebrauch machen. Dass dies in Deutschland, wie am Beispiel Tom Schreibers zu sehen ist, immer gefährlicher wird, ist entmunternd.
(Felix Johne)
Link zum Tagungsbericht der HSS:
http://www.hss.de/politik-bildung/themen/themen-2016/extremismus-in-deutschland-schwerpunkte-perspektiven-vergleich.html