Der deutsche Jugendmedienschutz: 3-tägiger Workshop an der National School of Cinema in Teheran, Juli 2017
Auf Einladung der „National School of Cinema“ und gefördert durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) führte Prof. Dr. Stefan Piasecki in der Zeit vom 6.-10. Juli 2017 einen dreitägigen Workshop zu Fragen des deutschen Jugendmedienschutzes in Teheran durch.
Darüber hinaus besuchte er die Dreharbeiten des neuen Films „Hezar-pa“ (هزارپا, Tausendfüßler) des international bekannten und preisgekrönten Regisseurs Abu’l Hassan Davudi und lernte die gegenwärtigen Superstars des iranischen Kinos kennen: Reza Attaran und Javad Ezati sowie Sara Bahrami. Zu Anlass einer Abendveranstaltung ergaben sich Gespräche mit weiteren Intellektuellen und internationalen Filmschaffenden.
Die im Jahr 2013 / 1392 gegründete und von Dr. Rouholla Hosseini geleitete „National School of Cinema“ ist eine Ausbildungseinrichtung, die sich der spezifischen Kultur des iranischen Kinos verschrieben hat und diese erhalten, fördern und fortentwickeln möchte. Dozierende im Studiengang Filmproduktion sind aktive Medienwissenschaftler und iranische Filmschaffende. Aktuell studieren 17 junge Kreative dort, die aus mehreren tausend Bewerbern am Ende eines aufwendigen Auswahlprozesses ausgewählt wurden. Sie erhalten von der Filmschule ein „Studierendengehalt“, damit sie sich voll und ganz auf ihr Studium und die Ausbildung ihrer Fähigkeiten konzentrieren können.
Neben dem aktuellen Studiengang bietet die Filmschule auch Lehrgänge und Workshops zu Themen von internationaler Bedeutung an, wenn sie eine große Relevanz für die iranische Filmindustrie haben. Eines dieser Themen ist der weltweit im Umbruch befindliche Jugendmedienschutz.
Videostreaming und globalisierte, im wahrsten Sinne des Wortes „entgrenzte“ Handelsmöglichkeiten sind neue Herausforderungen für bisher national agierende Jugendschutzbehörden. Deren Aufgabe ist es nach wie vor, Kinder und Jugendliche vor schädlichen und möglicherweise desorientierenden Inhalten zu schützen und gleichzeitig durch ihre Prüfentscheidungen Eltern und Erziehungsberechtigten Orientierung zu bieten. Die traditionsreichen deutschen Prüfsiegel der FSK beispielsweise gehen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung über die reine Produktkennzeichnung weit hinaus; sie sind Diskussionsgegenstand, Diskursbeitrag und ebenso Spiegelbild der Gegenwartskultur. Der bisher nationalstaatlich organisierte und einer bestimmten Mainstreamkultur verhaftete Jugendmedienschutz vermag jedoch multinationalen und multikulturellen Produktionen und Zielgruppen nicht immer gerecht zu werden – dies betrifft insbesondere Einwanderungsgesellschaften. Das Interesse iranischer Filmschaffender an diesen Fragen liegt demnach nahe.
Der Jugendmedienschutz in Deutschland ist erheblich vielfältiger als es die Freigabesiegel der FSK auf DVD-Boxen erwarten lassen, obwohl sie wohl zu den bekanntesten „Markenzeichen“ gehören, mit denen sich Filmfreunde in Deutschland beschäftigen (müssen). Das föderale System der Bundesrepublik und die Einführung des Privatfernsehens ab 1984 sowie moderner Trägertechnologien (CD-ROM, Streaming etc.) in den 1990er Jahren führten zu immer neuen Herausforderungen für die Bewertung potenziell jugendgefährdender Inhalte. Heute existieren neben der FSK in Wiesbaden die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) oder die Unterhaltungssoftwareselbstkontrolle (USK), deren rechtliche Zuständigkeiten durch den Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) geregelt werden. Für Außenstehende ist das System nicht einfach zu durchschauen: Wenngleich die sichtbaren Ausprägungen durch die Freigabekennzeichen ähnlich sind, sind die Strukturen der Prüfinstanzen doch sehr unterschiedlich.
Dieses System darzustellen und durch Beispiele zu verdeutlichen war der Ansatz des Workshops „Protection of youths in Germany. Media content and its implication on social development and the protection of minors“ von Prof. Dr. Stefan Piasecki.
Neben den historischen Hintergründen des deutschen Jugendschutzes stand insbesondere die rechtliche Feststellung im Vordergrund, dass und warum es sich bei dem System des deutschen Jugendmedienschutzes nicht um Zensur handelt und was in diesem Kontext die „Freiwilligkeit“ der voluntary self control bedeutet.
Detailliert ausgeführt wurden die rechtlichen Grundlagen anhand des Grundgesetzes, des JuSchG und des JMStV. Inhaltlich wurden weiterhin Prüfkriterien vermittelt und anhand von Filmclips verdeutlicht. Zum Abschluss des Workshops wurden Sequenzen des Films „300“ von den iranischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gemäß der Kriterien des deutschen Jugendschutzes bewertet und eine angemessene Kennzeichnung diskutiert. Es ergab sich, dass auch in einem gänzlich anderen kulturellen Kontext wie dem Iran bei der Sichtung des Filmmaterials weitgehend die gleichen Fragen und kritischen Anmerkungen aufkamen wie auch in Deutschland – was anhand der vorliegenden FSK-Prüfprotokolle der Erstprüfung und der letztlichen Entscheidung des Berufungsausschusses nebst Revidierung der zunächst vorgenommenen Einstufung dokumentiert und für den Workshop nachvollziehbar war.
Interessant für die Beteiligten stellte sich die überraschende Teilnahme einer hochrangigen Delegation des Ministeriums für Kultur und islamische Führung (ارشاد) an dem gesamten Workshop heraus. Diese trug Ansichten aus der Prüfpraxis des Irans vor und zeigte sich interessiert an den alle Medienproduktionen umfassenden Prüfstrukturen in Deutschland, wohingegen im Iran bislang nur vereinzelte Medienprodukte für den Verkauf gekennzeichnet und nicht alle Fernsehsendungen für die Zuschauer sichtbar klassifiziert werden. Insbesondere Kindersendungen im Fernsehen erhalten zwar eine Alterskennzeichnung, diese bleibt allerdings während der gesamten Sendung eingeblendet (während in Deutschland lediglich Informationstafeln zu Beginn eines Film im Hauptabendprogramm gezeigt werden).
Besuch bei Dreharbeiten
Erfan Shams, Student der National School of Cinema, führte Stefan Piasecki an einem Exkursionstag in den Süden Teherans an den Drehort von Abu’l Hassan Davudis neuer Komödie „Hezar-pa“. Diese erzählt die Geschichte eines Veteranen des irakisch-iranischen Krieges, der sich mit Beinprothese durch das Leben schlägt und allerlei witzige Abenteuer erlebt. Gedreht wurden zwei Szenen im Eingangsbereich einer Armaturenfabrik, die für den Film zu einem Krankenhaus umgestaltet wurde. Vor Drehbeginn wurden Informationskästen mit Plakaten und Aushängen der damaligen Zeitperiode angebracht und langsam entglitt der sichtbare Bereich nebst Pförtnerloge und Eingangstor der Gegenwart in eine ferne Vergangenheit Ende der 1980er / 1360er Jahre.
Die beiden Filmkumpanen (dargestellt von Reza Attaran und Javad Ezati) folgen mit einem Moped der Krankenschwester (Sara Bahrami), die aber mit ihrem Auto durch die bewachte Pforte fährt. Die Freunde müssen am Straßenrand zurückbleiben und ärgern sich über die verpasste Gelegenheit sie zu treffen.
Die Beinprothese bzw. der Stumpf des Veteranen ist computergeneriert. Reza Attaran trägt einen grellgrünen Strumpf, der später in der Postproduktion digital entfernt wird.
„Hezar-pa“ kommt voraussichtlich Anfang 2018 / Ende 1396 in die Kinos.