4th National and 2nd International Conference on Computer Games: Challenges and Opportunities – 21. Februar 2019, Kashan / Iran (Feb. 2019)
Computer- und Videospiele haben sich längst von reinen Unterhaltungsmedien emanzipiert und insbesondere seit dem Vordringen von Smartphonetechnologien mit stets verfügbaren mobilen Endgeräten eine Bedeutungserweiterung erfahren. Sie lassen sich heute für Bildungs-, Therapie- und Sozialisationszwecke einsetzen. Sozialsteuernde Verfahren wie Nudging und Gamification greifen Spielverfahren und -mechanismen auf und machen sich zunutze, dass Spielende sich gerne und teilweise leidenschaftlich über Wochen und Monate auch mit komplexen Themen beschäftigen, für die sie sonst möglicherweise nicht ansprechbar wären.
Gesellschaftliche und kulturelle Fragestellungen werden in Spielen noch nicht ausreichend thematisiert, glauben PD Dr. habil. Sophie Roche und Sahra Am’rsada (Uni Heidelberg), Prof. Dr. Esmail Karamidekhordi (Uni Zandschan), Dr. Sahar Faeghi (Uni Esfahan) und Prof. Dr. Stefan Piasecki. Als interdisziplinäres und internationales Team nahmen sie teil an der Fachkonferenz „Challenges and Opportunities“ über Computerspiele im gesellschaftlichen Wandel an der Universität Kashan im Iran.
Stefan Piasecki hielt den Einführungsvortrag über „Clash of Realities? Games, Religion and Virtual Realities“ und verdeutlichte die Bedeutung der sich in viele Lebensbereiche ausbreitenden VR- und AR-Technologien für kulturelle und religiöse Traditionen und Prägungen. Diese könnten zwar einerseits historische Kulte verständlich, Orte und Begebenheiten sichtbar und Artefakte anwendbar machen. Gleichzeitig würden sakrale Orte und geheime Riten, die nun detailliert visualisiert werden könnten, profanisiert. Was ehedem einem kleinen Kreis von Eingeweihten oder nur den Angehörigen einer bestimmten Religion verfügbar gewesen sei, stünde nun jedem offen. Menschen unterschiedlicher kultureller oder religiöser Prägung könnten gleichzeitig dieselben Orte besuchen und Handlungen begehen. Dies könne bislang noch nicht untersuchte Folgen nach sich ziehen. Wie wären Beschädigungen virtuell nachgestellter Heiligtümer zu bewerten? Schändungen? Diffamierungen? Wer richtete und bewertete hier? Welche Auswirkungen hätten virtuelle Erfahrungen auf reale Weltanschauungen?
In dem nachfolgenden Gruppenvortrag „Experiencing Climate Change: Raising Awareness for climate change through computer games“ spürten Sophie Roche, Esmail Karamidekhordi, Sahra Am’rsada, Sahar Faeghi und Stefan Piasecki der Frage nach, inwiefern Naturphänomene Gegenstand von Computer- und Videospielen sein können. Natürlich seien Katastrophen Teil von Spielwelten – und dies schon lange, führte Sophie Roche zu Beginn aus und benannte beispielhaft einige moderne Spiele, die neue Ansätze böten und abseits des dominierenden „nature fights back“-Sujets zu überzeugen wüssten. Zahra Amirzada verwies nach einer allgemeinen Einführung in Klimaveränderungen auf regionale Beispiele und daraus resultierende Erkenntnisse, die auch Aufmerksamkeit der Spielewissenschaften verdienten. Esmail Karamidekhordi berichtete von der Arbeit mit ländlicher Bevölkerung in der iranischen Provinz Zandschan. Auch eher abgelegenen Gebiete könnten mit modernen Technologien erreicht und die Menschen, so Sahar Faeghi, mit Gamification spielerisch auf neue Erkenntnisse hingewiesen und in innovativen Arbeitsverfahren unterrichtet werden. Die Mensch-Natur-Verhältnisse stärker auch durch Computer- und Videospiele zu vermitteln, diese Möglichkeit unterstrich Sophie Roche, bevor Stefan Piasecki abschließend betonte, dass die Darstellung realer Umweltverhältnisse nicht zuletzt auch den Glaubwürdigkeitsgrad von Spieleproduktionen stärkten, die Spieler und Spielerinnen unterhaltsam informierten und einen willkommenen Zusatznutzen böten. Schlussendlich skizzierte die Gruppe Möglichkeiten, wie Natur- und Sozialwissenschaftler sowie Spieleentwickler voneinander profitieren könnten und regte eine gemeinsame Austauschplattform an, die Arbeits- und Forschungsergebnisse dergestalt interdisziplinär verfügbar machen könnte.
Studentische Präsentationen berichteten von jüngeren Buchveröffentlichungen und eigenen Forschungsprojekten, von denen eine ganze Reihe sowohl innovativ waren wie auch mühelos international Anschluss finden könnten. Überzeugend war hier die hohe Rate weiblicher Teilnehmer und die Qualität der von ihnen vorgestellten Projekte. Es fanden sich unter anderem sowohl Versuche, Dateneingaben benutzerfreundlicher zu gestalten wie auch therapeutische und soziale Anwendungen.
Die zunehmende Isolation des Landes nach den letztjährigen neuerlich auferlegten US-Sanktionen erscheint demnach nicht zuletzt auch für die internationale Forschungsgemeinschaft selbst als nachteilig.
(Bilder: Universität Kashan)