Das Kürzel LSBTIQ, manchmal mit und ohne weiteres Q, mit oder ohne * – das ist ein Akronym mit quasi schicksalshaftem Tiefgang, denn hinter jedem dieser Buchstaben stecken Menschen, Schicksale, Lebensläufe, Identitäten, Hoffnungen und Ängste.
Am 9. Dezember 2015 war Ulrich Bachmann, Referatsleiter im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration, zu Gast in der Vorlesung „Handlungsfelder der Sozialen Arbeit“ von Prof. Dr. Stefan Piasecki und erläuterte den gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und geschlechtlicher Identitäten und wie sein eigener Arbeitsbereich versuche dazu beizutragen. Bachmann baute in seinem Ministerium diesen Fachbereich auf, der heute seinem Referat „Jugend“ in der Abteilung „Familie“ zugeordnet ist und leitet ihn seit 1997 kontinuierlich, wodurch er heute nicht nur Fachkenntnis und langjährige Erfahrung, sondern auch sehr profunde Einblicke in die Entwicklung der einzelnen Selbsthilfegruppen und Szenen hat.
Piasecki bekannte gleich zu Beginn, dass auch für ihn das Thema relativ neu sei, ebenso wie für viele Studierende. Aber gerade neue und fremde Themen anzunehmen und sich diesen zuzuwenden, sei eine Grundkompetenz im sozialen Bereich und er sehe sich in der Pflicht, auch sperrige und strittige Themen in Lehrveranstaltungen zur Sprache zu bringen. Gemeinsam mit Ulrich Bachmann entschlüsselten sie LSBTIQ als Kunstbegriff für die Vielfalt der verschiedenen Lebensformen Lesbisch, Schwul, Bi, Trans*, Inter und Queer, dem bisweilen noch ein weiteres Q für „Questioning“ zugefügt wird.
Ulrich Bachmann gewährte den Studierenden Einblicke in sein Spezialgebiet. Auch er selbst hat erst nach und nach die verschiedenen Facetten der Thematik für sich erarbeitet. Als studierter Jurist war es seine Aufgabe, rechtspolitische Perspektiven für das Ressort zu entwickeln, und so entwarf er Ideen für sein Ministerium, bislang wenig adressierte gesellschaftliche Fragen politisch zu rahmen. Unter anderem überzeugte er das in den 1990ern Jahren „grün“ geleitete Ministerium von Innovationen und Modellansätzen zur Förderung der Anerkennung und Gleichberechtigung homosexueller Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt noch wesentlich weniger gesellschaftlich gegeben war als heute. Beraterkreise, Informationsveranstaltungen und runde Tische mit Betroffenen schufen nach und nach ein neues Bewusstsein und halfen so auch Bedenken und Vorbehalte auf der politischen Ebene und in der Verwaltung selbst zu reduzieren.
Über die Jahre hinweg haben sich mittlerweile neue Begrifflichkeiten wie Queer und Trans* in Communities etabliert und auch in politischer Hinsicht wurde das Ziel ins Auge gefasst, Diskriminierungen nicht nur des biologischen Geschlechts, sondern nun auch bezüglich geschlechtlicher Identität und deren sozialen und gesellschaftlichen Konstruktionen und Dekonstruktionen abzubauen.
Laut Bachmann funktioniere dies hauptsächlich durch Bildung und inhaltlichen Austausch. Unsere Gesellschaft definiere Menschen in ihrem Umfeld nach der binären Geschlechtsordnung männlich/weiblich, damit eine Einordnung möglich werde. Es gebe aber Menschen, die in diese Ordnung nicht hineinpassen, sei es aufgrund körperlicher Merkmale (Intergeschlechtliche), sei es aufgrund ihrer Identität (Trans*) oder anderer Zuordnung (Queer).
„Vor allem Trans*-Menschen erleben oft eine unglaublich schwere Zeit, bis sie sich über ihre eigene Identität klar geworden sind, diese akzeptieren und bereit sind, mit ihrer Umwelt darüber zu sprechen.“
Studierende interessierten sich hier insbesondere für die Vulnerabilitäten in dieser Phase und die „Verbergensstrukturen“, die Betroffene für sich entwickeln. Hier wolle auch das Ministerium sensibilisieren, vor allem in Alltagssituationen. Mehr Offenheit und Aufmerksamkeit diesem Thema gegenüber zu zeigen ist der Wunsch von Herrn Bachmann an die Studierenden. Sobald sich Menschen mit diesem Thema befassten, könnten sich Vorurteile abbauen und Akzeptanz entstehen.
Auch für spätere Sozialarbeiter wie die Studierenden der CVJM-Hochschule sei dieses Thema zentral. Es erfordere allerdings zunächst mühsame Eigenreflexion, um betreffend dieses Themas einen angemessenen Umgang zu erlangen.
„Statistisch ist das Phänomen schwer zu fassen. Etwa 2-10% aller Menschen kennen bewusste oder unterbewusste gleichgeschlechtlichen Neigungen. Rechnen Sie also selbst hoch, in welchem Grad Sie als Kurs betroffen sind. Sich damit zu befassen hat nicht immer nur „mit den anderen“ zu tun“, gab Bachmann zu bedenken und Piasecki sekundierte: „Oder wie die Hochschule insgesamt betroffen ist“.
Es sei dabei überhaupt nicht notwendig, alles gut zu finden und alles zu akzeptieren. Aber wenn man schon bereit sei, den anderen als Menschen zu erkennen und gelten zu lassen, sei viel gewonnen, so Ulrich Bachmann auf die Nachfrage eines Studenten. Und selbstverständlich seien auch LSBTIQ-Menschen weder „bessere Menschen“, noch frei von Vorurteilen oder Intol
eranz. Aber gerade deshalb sei eine grundsätzliche Offenheit wichtig.
Die Doppelstunde mit Herrn Bachmann war interessant, spannend und informativ und auch nach dem offiziellen Ende setzte sich die Diskussion mit einem großen Teil der Studierenden eine weitere Stunde fort.
(Carina Pilz, Franziska Reichelt, Stefan Piasecki)