Am 9. Dezember 2015 besuchte Ulrich Bachmann, im hessischen Sozialministerium u.a. zuständig für „gleichgeschlecht-liche Lebensweisen“, eine Lehrveranstaltung von Stefan Piasecki . Carina Pilz und Franziska Reichelt haben ein Interview mit ihm geführt.
Herr Bachmann, mit dem Themenbereich LSBTIQQ, also „schwulen, lesbischen, Bi-, Trans-, Inter-, Queer- und Questioning“ Lebensfragen setzen sich zunächst eher Betroffene auseinander. Wie sind Sie auf dieses Thema aufmerksam geworden?
Ich hatte einen Freund, welcher schwul war. Dieser brachte mich mit diesem Thema in Verbindung, indem er sich viel mit der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigte und eine AG (Arbeitsgemeinschaft) „homosexuelle Gemeinschaft“ hatte.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Anerkennung im Ministerium ein im Vergleich zur Zeit Ihres Berufsstarts und heute?
Es war weniger eine Entwicklung. Es gab einfach mehr handelnde Personen. Einige Minister kamen mit dem Thema weniger gut zurecht, andere wiederum besser.
Im Moment gibt es eine sehr große Aufgeschlossenheit von Seiten der grün-schwarzen Regierungskoalition, da die sie selbst dieses Thema auch sehr promotet haben.
Wie schätzen Sie die Anerkennungsbereitschaft der Gesellschaft ein? Gibt es bei Jung und Alt Unterschiede?
Das stimmt halb, halb. Gerade im Jugendbereich herrscht eine große Diskriminierung gegenüber LSBTIQ. Es wiederspricht einfach dem gesellschaftlichen Männlichkeitsbild. Grundsätzlich neigen Menschen aus ferneren Bildungsschichten eher zur Diskriminierung als Menschen aus bildungsnahen Schichten.
Wie erfahren sie die Anerkennungsbereitschaft der Kirchen sowie kirchlichen Einrichtungen bei diesem Thema?
Islam, Judentum und die katholische Kirche tun sich mit diesem Thema noch recht schwer und man trifft dort noch auf wenig Toleranz. Die protestantische Kirche hingegen war über die Jahre hinweg recht offen gegenüber dem Thema LSBTIQ. Gerade aus kirchlicher Sicht sehe ich keinen Grund zu Diskriminierung.
Wie kann man aktiv mit dem Thema umgehen? Welche konkreten Projekte könnten daran beteiligt sein? Vor allem in der sozialen Arbeit sollte man sich ja mit dem Thema beschäftigen.
Ein wichtiger Weg sind die Informationsmöglichkeiten, Menschen über das Thema aufzuklären. Denn je mehr Menschen über das Thema Bescheid wissen, desto weniger herrscht Diskriminierung in unserer Gesellschaft gegenüber Menschen der LSBTIQ-Community.
Wichtig für einen selbst ist, dass man selbst auch die Infos, die man bekommt, zulässt und nicht von vorn hinein filtert. Man selbst muss bereit dafür sein, sich offen mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sich selbst erst einmal reflektieren, sich selbst Vorbild sein und Vorurteile abbauen.
Ein anderer Weg ist es, Menschen an die Grenzen ihrer Vorurteile zu bringen, denn so erreiche ich mehr als sie zu informieren.
Auch als Sozialarbeiter ist man ständig Vorurteilen gegenüber allem und jedem ausgesetzt. Dadurch muss man sich seine eigenen Vorurteilsstrukturen klar machen, sich selbst dafür sensibilisieren und sich die Frage stellen, wie man selbst eigentlich zu diesen Vorurteilen kommt.
Wir sind ständig unseren eigenen Empfindungen ausgesetzt. Diese müssen wir uns bewusst machen und offen darauf reagieren. Je mehr man sich selbst reflektiert, sich darauf einlässt und Empathie entwickelt, desto weniger Vorurteile entstehen.
Max Weber sagte einmal, dass man Vorurteile ernst nehmen soll, aber nicht endgültig, denn sie bleiben „VOR“-Urteile.
Was macht das Thema mit den Kindern aus Regenbogenfamilien?
Untersuchungen der Uni Bamberg haben ergeben, dass es für solche Kinder kein Problem ist, in solchen Familien aufzuwachsen, solange es nicht als Problem behandelt wird, gerade auch von Seiten der Familie.
Wie entsteht Homosexualität?
Das ist eine heikle Frage. Man kann Homosexualität nicht im Laufe des Lebens erwerben, deshalb stellt sich die Frage, ob es in den Genen vernetzt ist. Aber diese Frage kann man nicht beantworten, es gibt keinen Hinweis dafür. Auch keinen Hinweis dafür, ob es von Gesellschaft, Umfeld und Eltern abhängt.
Herr Bachmann, vielen Dank für ihre Zeit und das Interview
(Interview: Franziska Reichelt, Carina Pilz)