Sie kämpfen noch immer: Jerry Cotton, Dr. Stefan Frank und John Sinclair gegen eine digitale Übermacht
Einst waren sie omnipräsent: Romanhefte. Bunt, schrill, actionreich oder besinnlich und erotisch. Sie hingen außen an den Wänden von Trinkhallen, standen in Drehständern in Einkaufszentren, lagen im Zeitschriftenbereich von Supermärkten und waren nicht selten Tagesgespräch auf Schulhöfen oder gehörten zur sichtbaren Pausenlektüre von Busfahrern. Für Verlage wie Bastei-Lübbe, Pabel oder Moewig waren sie wichtige Umsatzträger, ikonische Heldenfiguren wie Perry Rhodan und John Sinclair prägten die bundesrepublikanische Pop- und Medienkultur der 1950er bis 1990er Jahre. Die Rede kann nur von Romanheften sein, die auf eine Geschichte zurückblicken, die – je nach Betrachtungsansatz – mehrere Jahrhunderte zurückreicht. Im Prinzip sind sie so alt wie gedruckte Literatur selbst. Aber wo stehen sie heute?
Mit der Entdeckung des Buchdrucks im 15. Jh. in Europa (in Asien viel früher) ging eine umgehende Profanisierung des Angebots an Druckwerken einher. Nicht nur die Bibel wurde verlegt oder Informationsaushänge, sondern auch Flugschriften, die von fahrenden Händlern verkauft wurden. Sie enthielten Witze, Besinnliches und auch Schauergeschichten, Gebete, Alltagsinstruktionen etc. Gelesen wurden diese Schriften damals vor allem vom Kleinbürgertum, das sonst weder Zugang zu Büchern noch das Geld für diese hatte. Die Kirchen reagierten mit Misstrauen und Zensur aus der Angst heraus, dass die Menschen durch Unterhaltung vom Bibelstudium abgehalten werden könnten. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. erschienen nach der Erfindung der Rotationsdruckmaschinen in den 1860er Jahren bald in Deutschland sogenannte „Lieferungs- oder Hintertreppenromane“ – benannt nach ihrer Leserschaft, dem Proletariat. Der Roman erstreckte sich hier über dutzende oder hunderte von Heften, die ersten Folgen wurden oft kostenlos verteilt. Karl May schrieb zunächst für solche Romanserien, in England Charles Dickens oder später Edgar Wallace.
Ab 1905 erschienen in Deutschland Romanhefte im heutigen Sinne: Nick Carter, Buffalo Bill, ab 1914 Soldatengeschichten („Landser“-Romane). Nach dem ersten Weltkrieg stiegen die Auflagen der Romanhefte stetig. Das Medium Detektivroman war so erfolgreich, dass die Leser nach immer mehr Realismus verlangten. In den 1980er Jahren etablierte sich daraus das Spielgenre „Textadventure“, in dem die Nutzer durch ihre interaktiven Eingaben in die Geschichten die digitalen Romane mitgestalten konnten. In der NS-Zeit wurden die meisten Heftromane verboten, ausgenommen Moewig- und Kelter-Produktionen, die sich insbesondere an Frauen richteten. Ab 1949 erlebten Romanhefte einen neuen Boom und erreichten einen Höhepunkt im Jahr 1953 mit 162 verschiedenen Serien (Abenteuer, Liebe, SciFi, Krimis, Wildwest…). Dem Heftroman bei gesellte sich nun auch der Comic als neue Form von Erzählung.
Ein Ende des ersten Booms ereignete sich 1954 mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ nach einer vorherigen gesellschaftlichen „Schmutz- und Schunddebatte“. Diese war an sich zwar nicht neu und schon vor dem ersten Weltkrieg hatten sich Kirchen, Pädagogen oder kulturpolitische Vereinigungen gegen die Verbreitung und den Konsum von Lieferungsromanen gewandt, da die Geschichten moralisch und ästhetisch als minderwertig angesehen wurden und angeblich charakterliche Fehlentwicklungen gerade von Jugendlichen förderten. Nach dem zweiten Weltkrieg kam diese Debatte in (West-) Deutschland wieder auf und gewann neue Fahrt, nachdem der US-Psychiater Frederic Wertham Anfang der 1950er in einer Langzeituntersuchung einen Kausalzusammenhang zwischen dem Lesen von Comics und Kinder- und Jugenddelinquenz behauptet hatte. Diese Diskussionen mündeten 1954 in das genannte Gesetz und die Einrichtung einer „Bundesprüfstelle gem. §9 Schmutz- und Schundgesetz“. Als direkte Folge stellten 1955 die deutschen Verlage 33 Comic- und sieben Textheftreihen ein und entschärften die verbleibenden Serien entsprechend.
Heute sehen sich die alten Helden neuen Herausforderungen gegenüber: Das digitale Zeitalter, eine Ausweitung des (medialen) Unterhaltungsangebotes und immer weniger Zeit zum Lesen machen ihnen das Leben schwer und weder eine Heiltherapie von Dr. Stefan Frank noch die Silberkugeln von John Sinclair scheinen zu helfen.
(Stefan Piasecki)
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LINK: Interview mit dem Romanheftforscher Heinz J. Galle
LINK: Interview mit den Bastei-Romanheftlektoren Michael Schönenbröcher und Britta Künkel