Workshop in Zandschan / Iran: „New Media and Agriculture. Impacts on Rural Life in Germany and Iran“
Im Rahmen eines dreitägigen DAAD-Workshops an der Universität von Zandschan im Nordwesten Irans gingen Prof. Dr. Esmail Karamidekhordi und Prof. Dr. Stefan Piasecki sowie 25 Studierende der landwirtschaftlichen Fakultät vom 14.-17. Mai 2017 der Rolle und Bedeutung von Landwirtschaft, sozialen Strukturen in kleinen Städten und Dörfern und von Medientechnologien auf den Grund.
Deutschland hat seit 1990 tiefgreifende Veränderungen erlebt, die auch international beachtet wurden und zu Nachfragen einladen: Wie hat sich das soziale Gefüge in den Dörfern entwickelt? Welche Bedeutung spielt die Mechanisierung der Landwirtschaft?
Der Zusammenbruch der großen LPGs in den neuen Bundesländern, die Abwanderung von Bewohnern ländlicher Regionen in Ost und West über die letzten Jahrzehnte hinweg einerseits, die zunehmende Zersiedelung von Flächen und Urbanisierung von Landschaften andererseits haben in Deutschland zu einem Aufbrechen traditioneller Strukturen geführt. Ein Bevölkerungsaustausch durch Städter, die in die ruhigeren Randgebiete oder gleich auf das Land und in Dörfer gezogen sind und durch jene, die auf der Suche nach Bildung oder beruflichen Perspektiven von dort in die Stadt gingen führte zur Ausbildung von Mischformen ländlichen Lebens in den letzten 30 Jahren.
Damit zeigen sich jedoch lediglich die jüngsten Entwicklungen eines bereits seit dem späten 18. Jahrhundert ablaufenden Prozesses in Deutschland, der durch die Industrialisierung in Gang gesetzt und aufgrund von staatlichen Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts noch beschleunigt wurde.
Wissenschaft und Technik wie auch staatliche Förderung zur Automatisierung und Mechanisierung von Landwirtschaft seit den 1930er Jahren führten in Deutschland zur zunehmend verbesserten Ausbeute landwirtschaftlicher Nutzflächen und der Tierhaltung. Gleichzeitig wurden Fragen von Umwelt- und Tierschutz immer wichtiger. Im Zuge solcher grundsätzlich positiven Entwicklungen gingen jedoch leider auch hunderttausende Arbeitsplätze verloren. Gerade niedrig qualifizierte oder ungelernte Arbeitskräfte wie Erntehelfer oder Melker wurden obsolet, seit 1975 verringerte sich die Zahl der Bauernhöfe um ein Drittel auf heute nur noch ca. 250.000. Noch immer geben jedes Jahr etwa 10.000 Höfe auf. Dass im gleichen Zeitraum die Größe der bewirtschafteten Flächen rapide anstieg verdeutlicht die starke Konzentration. Der klassische Familienbetrieb, die Bauernfamilie, arbeitet heute längst nicht mehr allein auf dem Hof, sondern bisweilen wenigstens in Teilzeit oder in Person einzelner Familienmitglieder in der nahen Stadt. Bauernhof und Vorverarbeitung wurden aus vielen Dorfkernen an die Ränder verlegt. Dörfer wurden dadurch optisch größer, aber im Kern doch ihrer eigentlichen Bedeutungen entledigt.
Im 21. Jahrhundert nun stellen sich neue Herausforderungen dar: Politik und Gesetze, Verordnungen und Erlasse werden immer öfter durch die EU bestimmt, die Digitalisierung von Landwirtschaft erlaubt die vollautomatische Bewirtung riesiger Flächen, die von unbemannten Landmaschinen unter Verwendung aktuellster Wetter- und Bodendaten verwertet werden. Während dadurch die Qualität der Erzeugnisse tendenziell besser wird, sinkt die Zahl der Mitarbeitenden im Agrarsektor weiter.
Die sozialen Strukturen auf dem Land, ebenso wie der Strukturwandel insgesamt, verlaufen im Iran ganz anders als in Deutschland. Auch dort gibt es mittlerweile die nicht-mehr-nur-Bauern-Familien, doch die Gründe, in der Stadt zu arbeiten, sind sehr unterschiedlich. Es geht hier weniger um Konsumpartizipation oder Selbstverwirklichung – es dominiert vielmehr die reine Notwendigkeit zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes.
Auch wirtschaftlich und im Sinne einer nationalen Selbstversorgung sind die Landwirtschaften beider Länder alles andere als ähnlich. Während im Iran mit 4,3 Mill. landwirtschaftlichen Haushalten noch immer 26,5% aller Arbeitskräfte auf den Agrarsektor entfallen (verglichen mit 30,7% in der Industrie und 42,8% im Dienstleistungssektor), sank dessen Anteil am nationalen GDP von 20,5% in 1985 auf noch 10,3% in 2009/2010 (Karamidekhordi 2013). Die Weltbank beziffert die Wertschöpfung der mit 19 Mio. Landarbeitnehmern erzeugenden iranischen Agrarökonomie auf 39 Mrd. US$, jene der deutschen Landwirtschaft mit unter 1 Mio. Beschäftigten auf 27 Mrd. US$ (World Bank Indicators). Dies macht nicht nur den unterschiedlichen Effizienzgrad deutlich, sondern auch die volkswirtschaftliche Bedeutung. Die iranische Bevölkerung von gegenwärtig etwa 80 Mio. Menschen wird bis 2050 auf 100 Mio. Menschen anwachsen und ist somit sowohl als Erzeuger wie auch Beschäftigungsmarkt von erheblicher Bedeutung.
Jegliche Maßnahmen mit Rationalisierungspotenzial können soziale Folgen nach sich ziehen, die sich destabilisierend auswirken können.
Wie zuvor in Deutschland sind die Lebens- und Arbeitsverhältnisse auf dem Land somit Ziel staatlicher Lenkungs-, Monitoring-, und Beratungsprozesse. Deutschland hat hier nur gute 10-15 Jahre Vorsprung und bietet sich gerade auch durch die bereits praktizierten Mediations- und Sozialberatungskompetenzen und Erfahrungen als Partner an. Struktursicherungsmaßnahmen waren im Iran zunächst noch sehr unkoordiniert zwischen öffentlichen und privaten Trägern und Beratungsnetzwerken. Hinzu kam, dass wissenschaftlich geprägte Beratung und praktisch orientierte Arbeitsbevölkerung lange in ihren Bedürfnissen aneinander vorbei arbeiteten. Auch in Deutschland ist das nicht ganz unbekannt. Der Zwei-Säulen-Ansatz der europäischen und nationalen Agrarpolitik verdeutlicht hier in ihrer 2. Säule durch die starke Beratungskomponente den Erkenntniszuwachs hinsichtlich der Notwendigkeit von individueller Einzelfallberatung.
Im Bereich von ICT und New Media Technologien verfügen beide Länder über ähnliche Voraussetzungen in Technik und Anbindung, allerdings stehen nicht alle für die Landwirtschaft notwendigen Daten im Iran bereit. Außerdem fehlt es an Landmaschinen, die Wetter-, Boden- und GPS-Daten verarbeiten können. Andererseits versprächen diese Geräte erhebliche Arbeitskräfteeinsparungen, was bei der Menge an in der Landwirtschaft eingesetzten Personen im Iran eine erhebliche Freisetzung von Arbeitskräften bedeutete mit unabsehbaren Folgen für die soziale Sicherheit auf dem Land und, daran anschließend, für die bereits überfüllten und weiterhin anschwellenden Bevölkerungen in urbanen Zentren. Schon die Einwohnerentwicklung der Hauptstadt Teheran lässt die Dynamik erkennen: Lebten hier in der Kernstadt (ohne Metropolregion) 2006 noch knapp 7,8 Mio. Menschen, waren es 2012 schon 8,8 Mio. und 2016 bereits 12,8 Mio.
Ähnlich wie zuvor in Deutschland wird im Iran in der Darbietung von Beratungs- und Selbsthilfeleistungen ein wichtiger Schlüssel gesehen, um die rurale Leistungsfähigkeit zu steigern und mechanisierte Prozesse bedarfsgerecht und sozialverträglich einzuführen. Landwirtschaftliche Beratung („Extension“) auf Augenhöhe, d.h. unter Einbeziehung von Bedürfnissen und Kenntnissen der Landbevölkerung steht hier im Vordergrund.
Im Rahmen des Workshops wurden durch Vorträge und studentische Beiträge wichtige Schwerpunkte deutscher und iranischer landwirtschaftlicher und sozialer ruraler Entwicklungen skizziert. Auf ganztägigen Exkursionen in die Provinz Zandschan (Region Taroum, ca. 6000-jährige Besiedelungsgeschichte!) wurden Dörfer wie Ansar und ländliche Wohnhäuser besucht sowie die Ernte von Erbsen, Knoblauch oder Maulbeeren etc. begleitet und auch der regionale Knoblauchmarkt besucht, wo LKW-weise die Tagesernte abgeliefert wurde.
Die universitäre Bildung macht sich auch auf den Dörfern sichtbar, wo sich mehr und mehr im Landwirtschaftsstudium ausgebildete Bauern finden und trotzdem auch noch genügend einfachere Tätigkeiten verbleiben. Beeindruckend sind die weit verbreiteten und verflochtenen Verwandtschaftsbeziehungen und die durch familiäre und nachbarschaftliche Mithilfe geprägten Solidaritätsstrukturen.